ELLE PEUT NAIDIM - DIE MACHT DER SELBSTERMÄCHTIGUNG
"Elle Peut Naidim" (EPN) ist eine Organisation, die Schüler*innen in Tansania über Mestruationshygiene und den weiblichen Zyklus aufklärt. "Elle Peut – Naidim“ bedeutet übersetzt "Sie kann, sie kann“.
EPN wurde 2020 von der Wirtschaftswissenschaftlerin Ruth Meriki und der Pädogogin Hawa Kipilili gegründet. Sie haben eine eigenständige 90-minütige, ganzheitliche Kampagne zu Menstruationshygiene und -management erarbeitet. Diese ermöglicht transformative Bildungserfahrungen, die große Veränderungen im Leben der Schüler*innen bewirken.
Das Unterrichtsprogramm (es werden Mädchen, Jungen und auch Mütter unterrichtet) ist mit abstrakten Begriffen wie "Menstruationshygiene" oder "Empowerment" nur schwer zu fassen.
Das wichtigste Mittel gegen die Scham sei Humor, sagt Ruth Meriki. Sie erklärt das Thema in einfachen Worten und anhand von Situationen, die Mädchen und Jungen aus ihrem Leben kennen. "Dort, wo sie leben, gibt es nun mal kein fließendes Wasser, keine Spiegel und auch keine Supermärkte. Die Darstellung soll niedrigschwellig sein und Spaß machen. Wer uns zuhört, kann den Inhalt später mühelos weitererzählen,“ so Hawa Kipilili.
„Elle peut Naidim“ fährt in die abgelegensten Bezirke, beispielweise von Arusha nach Karatu, weil über 90 Prozent aller Mädchen in der Region, so das Ergebnis einer Umfrage, keinen Zugang zu Periodenprodukten haben. „Wo und mit welchem Geld sollten sie auch welche kaufen?", fragt Ruth. Auch das hat die Umfrage gezeigt: die Mädchen wissen nichts über Menstruation. Niemand spricht mit ihnen darüber. Und mit den Jungen erst recht nicht. Die Konsequenz: Mädchen leiden still, ihr Selbstbewusstsein knickt schon im Teenager-Alter ein – viele brechen mit dem Beginn der Periode die Schule ab, die so zum Bremsklotz im Leben vieler Mädchen wird. Sie werden in die Hausarbeit eingebunden. Fehlende Bildung aber bedeutet im Erwachsenenalter Armut. Darum ist das Ganze nicht nur ein Frauenproblem, sondern ein Gesamtgesellschaftliches. Ruths und Hawas Ziel ist ehrgeizig: Sie wollen helfen, die Unwissenheit zu beseitigen. Mehr als 120.000 tansanische Mädchen verlassen pro Jahr vorzeitig die Schule (so die Weltbank) – und damit den Ort, der sie auch vor sexuellen Übergriffen schützt.
Zu der mobilen Aufklärungstruppe von EPN gehören außer den Gründerinnen Ruths Schwester Flora und Hafsa Mussa, die sich beide um die Evaluation des Projekts kümmern. Lehrer Herison Phanuel ist auch Teil des EPN-Teams. Er absolviert das Programm für die Jungs. Damit sich alle trauen mitzumachen, sei es besser, wenn die Geschlechter getrennt unterrichtet würden. „Jungs wissen fast nichts über Menstruation", sagt Herison. "Sie werden nie einbezogen und kommen auch in den Lehrvideos nicht vor." Dabei seien sie doch Brüder oder später mal Väter. "Wenn sie verstehen, was los ist, ist ein Teil des Problems schon gelöst.“ Auf EPN-Touren ins Hinterland werden etwa 400 Kinder pro Schule unterrichtet, ein bis drei Orte pro Tag. Ziel ist, ein Netzwerk zu schaffen und lokale Gesundheitsämter, Lehrer oder Vertrauensleute aus den Dörfern so einzubinden, dass sie die Programminhalte langfristig selbst verbreiten und Lernziele auswerten können. "Wenn wir 500 Schülerinnen erreichen, erreichen wir in Wahrheit 1000", sagt Ruth, "denn die 500 teilen das Wissen mit ihren Schwestern und Cousinen.“
Das Thema wird hauptsächlich aus Unwissenheit tabuisiert. Mädchen wachsen mit zahlreichen Menstruations-Märchen auf: Man darf während der Periode nicht kochen und sein Essen nicht salzen. Man wird schwanger, wenn man mit Jungs im selben Raum ist. Schmerzmittel machen unfruchtbar. Wenn man sich zu viel bewegt, fallen die inneren Organe raus. Der Geruch lockt gefährliche Tiere an. Oder lässt die Milch der Weidetiere sauer werden. Eine der Mütter sagte, dass sie gar nicht wusste, dass alle Frauen ihre Periode bekommen. Sie dachte, mit ihr stimme etwas nicht und sie werde bald sterben.
Mitgründerin Hawa Kipilili berichtet, dass ihr die Unwissenheit auf die Seele geschlagen sei: "Heute würde ich sagen: Ich wurde depressiv. Damals kannte ich den Begriff noch nicht." Sie war ein aktives Mädchen, tobte die gesamte Kindheit über mit ihrem Zwillingsbruder herum. Dann erzählte sie ihrer Mutter, dass sie blutete. Sie dachte, sie habe sich verletzt. Meine Mutter schaute mich nur an und sagte: 'Ab jetzt spielst du nie wieder mit deinem Bruder. Du darfst nicht in der Nähe von Männern sein. Sonst kriegst du ein Kind." Hawa war 14 und wusste nicht, wie sie das machen sollte. Jungs waren überall, auch zu Hause. "Ich habe mich in meine eigene Welt zurückgezogen. Ich war nicht mehr aktiv, ich bin nicht mehr um die Wette gelaufen, und wenn meine Brüder mich ärgerten, habe ich mich nicht mehr gewehrt. Ich hatte ständig Angst.“
Ruth und Hawa wissen von der von der Wirksamkeit ihres Unterrichts, zeigen Schüler*innen und Müttern alles, was die Industrie anbietet: Tampons, Binden, Menstruationstassen, Slipeinlagen mit und ohne Klebestreifen. Und sie erklären ihnen, dass sie nichts davon brauchen. Denn Armut führt nicht zwangsläufig zu Entzündungen und Infektionen - Lehmpfropfen, Federn oder dreckige Lappen hingegen schon. Die Schülerinnen lernen, wie sie den einfachen Baumwollstoff, den jede zu Hause hat, falten, kalt auswaschen und anschließend mit einem heißen Kohlebügeleisen glätten müssen, um Bakterien abzutöten. “Das hier", sagt Ruth und wedelt eine Stoffbinde durch die Luft, "benutzen Frauen überall auf der Welt. Es gibt keinen Grund, sich zu schämen, weil man nichts anderes hat." Einige Mütter blinzeln sich dabei die Tränen weg.
Auch die wiederverwendbaren Pads werden erklärt, die man nur ausspülen und in der Sonne an der Wäscheleine trocknen muss. Aus ihren Befragungen wissen Ruth und Hawa inzwischen, dass das unter den Mädchen die beliebteste Lösung ist.
Ruth, die in einer Massai-Gemeinschaft großgeworden ist, gründete EPN, weil sie vieles selbst erlebt hat. Sandige Baumwollfetzen, Krankheiten. Dass es anders geht, hat sie erst später an der High-School in Daressalam erfahren. "Die Mädchen in der Stadt haben ganz offen geredet und es mir erklärt!“
Zum Abschluss der „Elle peut Naidim“-Kurse gibt es immer ein Geschenk und eine kleine Zeremonie: Jeder Junge überreicht einer Schulkameradin eine pinkfarbene Packung "Salama Pads", die das EPN-Team zu seinen Einsätzen mitbringt. Die auswaschbaren Binden werden in Tansania hergestellt, lassen sich wiederverwenden und kosten etwa einen US-Dollar pro Stück. Von Tampons und anderen westlichen Hygieneartikeln halten Ruth und Hawa nichts: "Zu teuer, zu viel Plastikmüll. Eigentlich, so sagen Ruth und Hawa, lassen sich diese Probleme leicht lösen: "Man muss die Weichen anders stellen und ein paar Dollar investieren. Starke Mädchen werden zu starken Frauen – genau die brauchen wir, damit unsere Gesellschaft vorankommt!“
Seit Beginn des Programms, das von Spenden finanziert wird, haben die Frauen von EPN 16.500 Mädchen und 6200 Jungs unterrichtet. Zwei männliche Lehrkräfte sind gerade hinzugekommen. Mehr Lehrer bedeutet, dass auch mehr Kinder teilnehmen können. Bis Ende 2024 wollen sie 45.000 Schülerinnen und Schüler mit ihrem Programm erreicht haben. Das ist das Ziel.